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Organspende regeln


Im Film «Jésus de Montréal» spielt eine junge Theatergruppe die Passion Jesu. Dabei kommt es zu ­einem tragischen Unfall. Der Jesus-Darsteller liegt im Koma, retten lässt sich sein Leben nicht mehr. Da wird die Darstellerin der Maria Magdalena mit der Frage konfrontiert, ob ihr Kollege, der keine ­näheren Angehörigen hat, seine Organe spenden würde. Ähnlich geht es auch ­Angehörigen von ­Menschen, die als Organspenderinnen in Frage kommen und die sich nicht zur ­Organspende ­geäussert haben.


Von Thomas Wallimann, in: Kirchenblatt

für römisch-katholische Pfarreien im Kanton Solothurn, 16. August 2020.


1415 Menschen warteten Ende 2019 in der Schweiz auf ein Organ. 582 Menschen erhielten Organe gespendet, wobei 501 Organe nach dem Eintreten des Hirntodes und 110 lebend gespendet wurden. Weil die Schweiz im europäischen Verhältnis wenig Spenderinnen hat, versuchen Bund und Organisationen die Spendebereitschaft zu erhöhen. Auch liegt eine Volksinitiative beim Bundesrat, die darauf zielt, dass es mehr Spenderorgane gibt. Dabei wird auf die sogenannte «Widerspruchslösung» gesetzt. Wie lässt sich dieser Vorschlag einordnen? Was können wir aus christlicher Sicht dazu sagen? Diskutiert werden vier Varianten:


Erweiterte Zustimmung Das Transplantationsgesetz aus dem Jahre 2004 und seine Revision von 2017 regeln die Organentnahme. Organe können sowohl bei einem Hirntod wie auch im Zusammenhang mit einem Herz-Kreislauf-Stillstand mit Hirntod entnommen werden. Dabei gilt die Regelung der erweiterten Zustimmung. Damit eine Organspende erlaubt ist, braucht es die ausdrückliche Zustimmung der spendefähigen Person beziehungsweise bei unsicherem Patientenwillen die stellvertretende Zustimmung der Angehörigen. Diese fällen die Entscheide zusammen mit dem behandelnden Team auf der ­Intensivstation.


Widerspruchslösung Anders regeln will dies die Volksinitiative «Organspende fördern – Leben retten». Sie fordert die Widerspruchslösung. Dabei geht der Gesetzgeber (Staat) davon aus, dass alle unaufgefordert Spenderinnen sind, ausser sie haben ausdrücklich Widerspruch geäus­sert und deklariert, dass sie nicht spenden wollen.


Erweiterte Widerspruchslösung Als indirekten Gegenvorschlag zu dieser Initiative hat der Bundesrat im Herbst 2019 eine erweiterte Widerspruchslösung in die Vernehmlassung gegeben. Er erweitert die Initiative dahingehend, dass bei unklarem Patientenwillen die Angehörigen in die Entscheidungsfindung einbezogen werden.


Erklärungsregelung Ebenfalls im Herbst 2019 hat die Nationale Ethikkommission für den Humanbereich (NEK) die Erklärungsregelung lanciert. Personen, die mit Institutionen des Staates zu tun haben, werden regelmässig verpflichtet, sich zum Thema Organspende zu äussern. Dies könnte bedeuten, dass ein Passantrag nur bearbeitet wird, wenn man sich auch zur Organspende äussert.


Medizinische und menschliche Fragen Eine Organentnahme und -transplantation ist oft Routine und technisch geprägt. Dies ist für Aussenstehende und Angehörige nicht ganz einfach. Häufig spielt der Faktor Zeit eine wichtige Rolle, und so sind die Phasen für das Abschiednehmen zwischen Sterben, der Feststellung des Todes und den medizinischen Massnahmen sehr kurz. Auch wenn die Spitäler fachkundige Hilfe bereitstellen, bleiben Organ­transplantationen vor allem eine technische Sache.


Auch muss daran erinnert werden, dass nicht für alle Menschen das Leben nach einer Transplantation leichter wird. Krankheiten verschwinden nicht einfach, und so ist es beispielsweise für viele selbst nach einer Transplantation schwierig, wieder im Arbeitsleben Fuss zu fassen.

Schliesslich stellt sich die Frage, wer erhält ein gespendetes Organ. Eine nach verschiedenen Kriterien geordnete und anonymisierte computerbasierte Rangliste bildet die Grundlage für Entscheide. Dabei spielen letztlich auch menschliche Erwägungen wie der Gesundheitszustand der Empfängerperson eine wichtige Rolle.


Unterschiedliche Wertvorstellungen Die Volksinitiative mit der Widerspruchslösung stellt das Ziel, ausreichend Spenderorgane zu haben, ins Zentrum. Diesem Nutzen wird alles untergeordnet. Dies schafft Probleme. Die Bundesverfassung wie auch die medizinethischen Richtlinien stellen die Achtung der Würde des Menschen und seiner Autonomie ins Zentrum. Nur wer informiert ist und einer Behandlung zustimmt, darf behandelt werden. Staat wie Medizinethik wissen um die Gefahr der Instrumentalisierung von Menschen und schützen darum die Würde und Integrität. Diesen für unseren Staat wie auch für die Medizin fundamentale Grundsatz stellt die Widerspruchslösung in Frage. Sie setzt den gesellschaftlichen Nutzen vor den Schutz der Würde. Dies gefährdet Persönlichkeitsrechte – auch von Verstorbenen. Auch darf gefragt werden, wenn ein solche Nutzenpriorität bei der Organspende gelten soll, wo könnte sie sonst noch Schule machen? Im Gesundheitswesen? In der Bildung?


Die Erklärungsregelung der NEK nimmt das Selbstbestimmungsrecht ernst. Es stellt sich aber die Frage, ob der Staat unterschiedliche Dinge wie eine Ausweisbeschaffung mit der Äusserung zur Organspende so miteinander verbinden darf und warum ausgerechnet die Organspende dafür geeignet ist und nicht auch andere gesellschaftlich relevante Beiträge.


Eine christliche Sicht Für Christinnen und Christen ist das Leben ein Geschenk Gottes. So ist auch der Körper nicht einfach persönlicher Besitz und das ewige Leben, das nach dem Tod folgt, nicht an körperliche Unversehrtheit in dieser Welt gebunden. Vor diesem Hintergrund nennt der Katechismus in Nr. 2296 die Organspende eine «edle und verdienstvolle Tat». Die Kirche unterstützt und fördert die Organspende. Sie ist ein Akt von Mitgefühl und auch Solidarität. Gleichzeitig legt sie aber auch grosses Gewicht darauf, dass dieses Geschenk in Freiheit gegeben wird. Niemand darf dazu gezwungen werden – auch nicht moralisch. Dies begründet auch die kritisch-ablehnende Haltung etwa der Schweizer Bischöfe der Volksinitiative ­gegenüber.


Organspende ist aber nicht nur eine persönliche, individuelle Angelegenheit. Die gesetzliche Regelung verweist auf Strukturen. Hier spielt etwa das Solidaritätsprinzip eine wichtige Rolle. Dabei gilt es zu fragen, wer bei welcher Reglung die am meisten Benachteiligten sind und wie mit ihnen umgegangen wird: Wer kann sich nicht äus­sern, wenn der Staat automatisch Zustimmung zur Organspende von seinen Bürgerinnen erwartet? Wer, wenn der Staat die Organspende dem ausdrücklichen Ja der spendewilligen Person überantwortet?


Grenzen des Machbaren Schliesslich verweist die Frage um die Organspende auch auf den Umgang mit dem Tod. Dies beginnt bei der Kontroverse um den Hirntod. Auch stellen sich Fragen, wie wir sterbende und verstorbene Organspenderinnen begleiten und welche Rolle die medizinischen Künste am Lebensende spielen. Eng damit verbunden ist das Phänomen der Machbarkeit. Gerade die letzten ­Monate, geprägt durch die Covid-19-Pandemie, zeigen uns die Grenzen des Machbaren. Welche Fragen ergeben sich daraus an die Nutzenversprechen und -hoffnungen?


«Jésus de Montréal» endet damit, wie die Hornhaut des verstorbenen Jesus-Dar­stellers einem Menschen neues Augenlicht, wie das Herz einem anderen neues Leben schenkt. Die Debatte um die Organspende lädt dazu ein, aus dem Licht des Glaubens wie auch des kritischen Nachdenkens die verschiedenen Aspekte zum Gespräch zu machen. Dass die Frage nicht ganz einfach zu beantworten ist, mag etwas Mühe bereiten, aber es zeigt auch, dass wir nebst den guten Absichten beim Handeln immer auch die Folgen, die gesellschaftlichen Dimensionen und die Sinnfrage einbeziehen dürfen.

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